Der Architekt Felix Tilk schrieb Friedrichshagener Baugeschichte

Zu den Besonderheiten Friedrichshagens gehört ohne Zweifel die Vielfalt von Baustilen aus den verschiedenen Entwicklungsabschnitten des 1753 als „Kolonistendorf" gegründeten Ortes am Nordufer des Müggelsees.

Ein Steinchen in diesem architektonischen Mosaik bildet im östlichen Teil Friedrichshagens das Bauensemble Ecke Werlseestraße/Julius-Hart-Straße, das durch seine Eigenart die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zieht. Welche Bewandtnis hat es mit diesen Wohnhäusern?

Häuserensemble Werlseestraße, ca. 1930

Entworfen und errichtet wurden sie von dem Architekten und Ingenieur Felix Tilk Anfang der 1920er Jahre nach einem eigens von ihm entwickelten materialsparenden Verfahren. Es waren Versuchsbauten.

Felix Tilk wurde 1880 im schlesischen Glatz (heute Klodzko in Polen) geboren. Nach dem Besuch der Grund- und Mittelschule wurde er Volontär in einer Kreisbauinspektion und erlernte danach das Zimmermannshandwerk. Es folgten der Besuch eines Technikums in Straßburg (Elsaß) sowie ein kurzzeitiges Studium an der Technischen Hochschule in Karlsruhe.

Schon bald nach dem Studium unterhielt er von 1904 bis 1912 in Lahr das „Architektur- und Technische Büro für Hoch- und Tiefbau". In dieser Zeit machte er sich u.a. durch den Umbau des Schlosses Rust; im Breisgau, das aus dem 16. Jahrhundert stammt, einen Namen.

Bereits in diesen Jahren experimentierte er mit neuen Bauelementen und Baumethoden, so dass er schon 1907 ehrenhalber Mitglied des Deutschen Architekten- und Ingenieurvereins wurde. In seinem Lebenslauf bezeichnet sich Felix Tilk als Erfinder der Eisenbetonbohlen und nietlosen Eisengitter-Betoneinlagen.

Im Jahr 1912 kam Tilk nach Berlin, wo er als Privatperson seine Entwicklungsarbeiten fortführte: Er schuf den „Tilkschen Raumgitterbau", einen armierten Ziegel- und Holzlamellenbau. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er zur technischen Dienstleistung bei Versorgungsbauten herangezogen.

Ab 1920 errichtete Felix Tilk als selbständiger Architekt und Bauingienieur in Friedrichshagen, das mittlerweile in „Groß-Berlin" eingemeindet worden war und nun zum Stadtbezirk Cöpenick gehörte, als Probebau der Tilkschen Raumgitterbauweise ein Ensemble von sieben Wohnhäusern. Allerdings stieß die neue Bauweise nicht überall auf Zustimmung, so offensichtlich auch nicht beim zuständigen Bauamt in Cöpenick.

Häuser Werlsee-/Ecke Julius-Hart-Straße, ca. 1930

In einem Schreiben beklagte sich Tilk, das Amt habe die Abnahme des Hauses Julius-Hart-Straße 3 - Bauherr war der Kaufmann Gentz - ein ganzes Jahr lang hinausgezögert, während ein vergleichbarer Bau in Grunewald vom dortigen Bauamt ohne Verzögerung abgenommen worden sei.

Die Produktionsstätte zur Herstellung der Bauelemente befand sich in dem Eckhaus Kurfürstenstraße (heute Werlseestraße/Julius-Hart-Straße), wo Tilk mit seiner Familie auch wohnte.

Nachdem er durch diesen Betrieb zu einem gewissen Wohlstand gelangt war, entschloss er sich im Jahre 1924, das florierende Unternehmen in treuhänderische Verwaltung zu geben.

Mit einer Gruppe deutscher Adventisten ging er nach Brasilien, um dort eine Kolonie zu gründen. Zunächst nutzte er den Aufenthalt, um den von den Kolonialherren entwickelten sogenannten „Jesuiten-Stil" zu studieren. Gleichzeitig war er für größere Firmen wie auch für die Präfektur von Rio de Janeiro tätig: Er fertigte Entwürfe für Brücken- und Schleusenanlagen sowie für den Stau des Flusses Tiete an. Auch die Planungen für größere öffentliche Bauten in Rio, so das Waisenhaus in Osorio, entstanden auf seinem Reißbrett.

Bevor es zur Gründung der Kolonie kam, zerfiel die Gruppe der Einwanderer aus Deutschland. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in der Heimat, vor allem aber die offensichtliche Misswirtschaft bei der Führung der Friedrichshagener Produktionsstätte und die Belastung des Grundstücks mit einer Hypothek führten zum Niedergang des Unternehmens.

So blieben die erhofften Gelder aus Deutschland aus. Hinzu kam noch der persönliche Umstand, dass Gerda Christine Tilk, die mit ihrem Mann nach Brasilien gegangen war, das Tropenklima nicht vertrug, zumal sie schwanger war.

Schweren Herzens entschloss sich das Ehepaar, nach Deutschland zurückzukehren, obwohl beide in Brasilien eine glückliche Zeit verlebt hatten und der Architekt und Bauingenieur sich dort durch die Errichtung etlicher Bauten einen guten Namen gemacht hatte.

In Deutschland lebte Tilk unter schwierigen Verhältnissen und hielt sich mit kleineren Aufträgen recht und schlecht über Wasser. Einige Jahre war er als technischer Geschäftsführer bei der Eigenheim-Festwertgemeinschaft - durch sie entstand u.a. die Siedlungsanlage Sumter See - beschäftigt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er dienstverpflichtet, so dass er nicht mehr eigenständig tätig sein konnte. Auch nach 1945 - nun bereits 65 Jahre alt - vermochte er nicht mehr Fuß zu fassen. Er starb 1950 in Friedrichshagen.

Das kleine Bauensemble am Rande unseres Ortes legt steinernes Zeugnis von seinem Leben ab und stellt ein Stück Baugeschichte dar. Leider sind die Häuser nicht mehr im Originalzustand erhalten. Da sie nicht unter Denkmalschutz gestellt wurden und nicht einmal in einem Gebiet der Erhaltungssatzung - sie gilt nur für den älteren, vor 1914 entstandenen Teil - stehen, waren sie vielfachen Veränderungen unterworfen, vor allem nach 1990.

Im relativen Originalzustand befinden sich - mit Ausnahme der Zäune - noch die Häuser Julius-Hart-Straße 3 und 3a. Aber unverkennbar ist noch die ursprüngliche Struktur der kleinen Wohnanlage.

Bei der von Felix Tilk entwickelten Raumgitterbauweise handelt es sich um doppelwandige Mauern ohne Eisenarmierung; die im Bauwerk eingebetteten Holzteile sind in einer Mischung aus Teer und Naphtalin getränkt. Angaben dazu finden sich u.a. in der Druckschrift Nr. 5 des Ministers für Volkswohlfahrt mit dem Titel „Die Bauwirtschaft im Kleinwohnungsbau" (o.J.; nach 1912, vor 1915). Auch im Bauaktenarchiv des ehemaligen Stadtbezirks Köpenick sind verschiedene Unterlagen zu diesen Versuchsbauten vorhanden. Aber besser ist: Eine Besichtigung der Bauten bei einem Spaziergang vorzunehmen.

Text und Fotos: Dr. Erna Scharnhorst