„Freut Euch des Lebens....“

 

Gerda Berger greift in die Tasten, spielt die bekannte Melodie von Hans Georg Nägli und setzt ihren Klaviervortrag mit „Es war in Schöneberg im Monat Mai“ und „Fritze Bollmann“ fort.

 

„Freut Euch des Lebens....“, die Textzeile ist das Lebensmotto der 94-Jährigen. Unsere Unterhaltung färbt den Tag in sonniges Gelb und bleibt lange im Gedächtnis. Wer im hohen Alter noch soviel Heiterkeit besitzt, muss glücklich sein! Gerda Berger gehört zu den Menschen, die man zum Abschied in die Arme schließen möchte, ihre Worte sind warmherzig, witzig, lebensweise und klug.

 

Der Anlass unseres Treffens in der kleinen Wohnung in der Straße Am Goldmannpark ist der 75. Jahrestag ihres Abiturs am Richard-Wagner-Lyzeum, dem heutigen Gymnasium in der Bruno-Wille-Straße. Am 3. März 1932 legten hier 21 Mädchen ihr Abitur ab. Erstmals. Wer lebt von ihnen noch? Irene, Elisabeth, Hilde, Gisela, Erika, Viola, Elli, Ruth, Johanna, Ursel ... ? Vielleicht ist Gerda Berger mit hohem Alter die einzige Überlebende. So sprechen wir über das Leben der Gastgeberin.

 

Von dem Zeitpunkt an, als Gerda Berger mit ihren Mitschülerinnen die Reifeprüfung ablegte, durfte sich die Schule Oberlyzeum nennen. Sie hatte die Befähigung nachgewiesen, Mädchen zum Abitur zu führen. Vor 75 Jahren sicher noch ein emanzipatorischer Akt, andererseits spricht er für den fortschrittlichen Geist des Ortes. Gerda Berger, mit Mädchennamen Gerda Schönfeld, war begabt, hatte in allen naturwissenschaftlichen Fächern ein „Sehr gut“. Ihr Reifezeugnis, in Sütterlin-Schrift ausgestellt, bescheinigt ihr die Abschlussnote „Gut“. Die aufgeschlossene Gerda hatte eine praktische Ader, sie wusste zum Beispiel, was Autos antreibt und wie sie zusammengesetzt sind. Der Entschluss ihrer Mutter, die Tochter an der höheren Fachschule für Frauenberufe in Haushaltsdingen ausbilden zu lassen, stieß nicht unbedingt auf Gegenliebe. Essen in großen Mengen kochen, wurde zur Kunst, gerade Nähte mit der Maschine ziehen, erst recht und eine Gurke wie ein gelernter Koch mit einem scharfen Messer fix zu zerkleinern, war geradezu unmöglich. Trotzdem blieb vieles hängen, erwies sich in Notzeiten als brauchbar.

 

Der Haushaltsschule folgte eine Ausbildung als Volksschullehrerin, dann die Heirat mit Dr. Egon Berger, Regierungsrat aus der Neumark. 57 Jahre führte das Ehepaar bis zum Tod des Mannes eine glückliche Ehe. Horst und Gerhard, die Söhne, wurden Pfarrer und Gärtner. Die Familie pflegte Geselligkeit, es wurde gesungen, musiziert, viel gelacht. Gerda Berger machte zu jedem Ereignis ihren Reim. Waren die Zeiten schwer, halfen Überlebensstrategien. Besonders aber die Einstellung, dass jedes Ding eine positive Seite hat.

 

Nach dem Kriege meinte Gerda Berger, man müsse den Menschen etwas Gutes bieten – etwas zum Essen, etwas zum Freuen. Also eröffnete sie Am Goldmannpark 13 einen Sämereienladen. Aus Samen Blumen fürs Gemüt; Bohnen, Erbsen und Karotten für den Magen. Die Einwohner hatten für die Behörden Unterschriften gesammelt, sie wünschten sich das Geschäft mit Gerda Berger, die auch Bäume beschneiden konnte, alles über Düngemittel wusste und viele Ratschläge parat hatte. Jahre später führte Gerda Berger die Samenhandlung als Lottostelle weiter. „Lottostelle super schnelle Monetenquelle“ – mit Wortwitz lockte sie die Friedrichshagener, die manchmal nur ihrer Sprüche wegen kamen: „Willst gewinnen du ganz groß, spiele hier dein Bärenlos“ und „Klappt’s nicht gleich, weich nicht zurück, bald winkt auch dir das große Glück!“

 

Ein Vers zur Erbauung – so ist es auch heute noch. Gerda Berger dichtet, wenn die Nacht lang ist, wenn ein Familienereignis bevor steht, wenn ihr die Dinge durch den Kopf gehen.

 

Zwei Weltkriege, Zeiten der Entbehrung, Währungsreformen, ein Herzschrittmacher seit 10 Jahren und nachlassende Mobilität. Nichts wirft Gerda Berger aus der Bahn. Stellen sich Dinge so dar, wie sie nicht sein sollen, werden sie verändert. Wie Goethes trauriges Gedicht vom Heidenröslein, das von Gerda Berger ein Happy End bekam.

 

Würde Gerda Berger heute noch im berufsfähigen Alter sein – sie wäre die geborene Krisenmanagerin.

 

- hsb - August 2007