14.01.2016


Was entsteht denn da?

Das Neubauprojekt Bölschestraße 62

Bölschestr.62, Baustelle Januar 2016 - Foto S. Strachwitz

Bölschestr.62 und 61 (Seitenfassade) - Foto S. Strachwitz

Bölschestr. 62, Wohnhaus, das Ende der 1970er Jahre abgerissen wurde - Foto, Archiv H.-J. Rach

Schon seit einer Weile sind auf dem Grundstück Bölschestr. 62 bauliche Aktivitäten zu beobachten. Das Anwesen ist den Friedrichshagenern bekannt – durch seine besondere Geschichte, durch die Werkstatt der Glaserfamilie Stryck, die sich seit 1977 in einem Flachbau im hinteren Bereich des Grundstücks befand, oder lediglich durch den seit Jahren gleichen Anblick einer Baulücke, die nur im Sommer durch eine große "Erdbeere" als Verkaufsstand bespielt wurde.

Seit dem – ca. 1976 erfolgten – Abriss des eingeschossigen langgestreckten Wohnhauses (s. Abb. unten), in dessen Dachraum noch Bauelemente des ursprünglichen Kolonistenhauses von 1753 zu finden waren, war das Grundstück Bölschestr. 62 eine Baulücke. Die Umrisse der einstigen Giebelwände des Wohnhauses, die sich wie bauhistorische Narben noch heute an den Seitenfassaden der mehrgeschossigen Nachbargebäude, Nr. 61 und Nr. 63, abzeichnen, kennt jeder Friedrichshagener.
Noch 1971 hatte der Denkmalpfleger Hans-Jürgen Rach den Baubestand des eingeschossigen Wohnhauses aufgenommen und dokumentiert. 2003 berichtete er unter dem Titel „Eine unglückliche Baulücke, Bölschestraße 62“ über die Ergebnisse dieser Bauanalyse in der „Festschrift 250 Jahre Friedrichshagen“ (hg. v. Rudolf F. Lang/Kulturhistorischer Verein Friedrichshagen e.V., Berlin 2003, S. 152 - 154). Seine Ausführungen beschließt er mit dem Wunsch nach einer Neugestaltung der Baulücke, „wobei zu berücksichtigen wäre, daß der Neubau zwar keine historisierende Gestaltung erfahren, sich aber an die historisch nachweisbaren Proportionen anlehnen sollte“ (ebd., S. 154).

Aktuell nun wird die Lücke tatsächlich geschlossen. Allerdings entsteht hier ein Neubaukomplex, der das Grundstück ober- wie unterirdisch komplett ausschöpft und jegliche historischen Bezüge oder gar Proportionen außer Acht lässt (s. Projektbeschreibung):
So umfasst der modernistische Komplex ein 6-geschossiges Vorderhaus inkl. Staffelgeschoss als Geschäfts-, Büro- und Wohnhaus, ein 5-geschossiges „Gartenhaus“ inkl. Staffelgeschoss, an das sich eine 2-geschossige Remise anschließt. Diese beiden Baukörper sollen Wohnzwecken dienen.
Zwischen Vorderhaus und „Gartenhaus“ wird es zudem einen eingeschossigen Seitenflügel mit Einzelhandelsflächen geben. Den Rest des Grundstückes werden 14 Privatgärten mit je einer Laube sowie die Anlage eines Kinderspielplatzes einnehmen.
Der Gebäudekomplex wird umfänglich „unterkellert“ mit einer Tiefgarage, die sich gen Osten noch über die oberirdisch bebaute Fläche hinaus erstreckt, lt. Bauvoranfrage wurde deren Fläche in einer Größe von 1.110 m² geplant.
Die 6-geschossige Hauptfassade zur Bölschestraße trumpft mit riesigen Fensterflächen, hin- und her- wie vor- und zurückspringenden Formelementen und harten Hell-Dunkel-Kontrasten auf, die sich gegenüber den denkmalgeschützten Nachbargebäuden nun dominierend in den Vordergrund schieben. Das imposante wie elegante, 1910–11 von Albert Schmidt und August Lerche gestaltete Wohn- und Geschäftshaus Nr. 63, das an dieser Stelle bisher das Straßenbild prägte, wie auch das mit nur drei Geschossen bescheidenere, aber nicht minder elegante, 1898 von H. Carlitscheck entworfene klassizistische „Mietshaus“ Nr. 61 scheinen somit zukünftig von einem nach Aufmerksamkeit heischenden architektonischen „Emporkömmling“ zu baulichen Hinterbänklern degradiert zu werden.
Über Geschmack lässt sich, wie jeder weiß, wohlfeil streiten, aber ob ein solcher ästhetisch dominanter wie auch baulich massiver Lückenschluss dem Denkmalensemble Bölschestraße angemessen ist, erscheint – zumindest aus denkmalpflegerischer Sicht – fragwürdig.

Das Anwesen Böslchestraße 62 bildete 1753 die 51. Parzelle der alten Dorfstraße, d.h. auf diesem Grundstück stand zur Ortsgründung von Friedrichshagen das letzte bzw. das erste Kolonisten- und Spinnerhaus auf der östlichen Seite der Dorfstraße gen Norden. Dieses Kolonistenhaus, das bis 1976 in einigen baulichen Teilen, auf alle Fälle jedoch in den ursprünglichen Proportionen noch existent war, besaß einen besonderen ortsbildprägenden Charakter und Wert, der durch seine Position in der axialen Verlängerung der heutigen Lindenallee (einst ein Hauptverkehrsweg gen Friedrichshagen, als es Bahnlinie und Bahnhof noch nicht gab) noch unterstrichen wurde. Dieses Grundstück bildete damals somit die städtebauliche „Schwelle“ zur Einkehr oder zum Verlassen von Friedrichshagen. Zukünftig wird der die Lindenallee hinunterlaufende Wanderer nicht mehr auf den Charme des einstigen Spinnerdorfes eingestimmt, sondern von einem monumentalen Betonblock begrüßt, dessen Gestaltung angeblich an die Architektur „nobler Badeorte“ und so an Friedrichshagens Historie als Kur- und Ausflugsort gemahnen soll.

Bauherr ist ein Schweizer Immobilienunternehmen, das in Friedrichshagen bereits mehrere Immobilien besitzt.

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Von: - SIS -