06.03.2016


Ein ganz normaler Tag in der Wilhelm-Bölsche-Schule


Praktische Annäherung an ein lokales Beispiel gesellschaftlich relevanter Arbeit

Wünsche für die Zukunft sind wichtig

Während des Unterrichts wurde konzentriert gearbeitet

Wünsche für die Zukunft sind individuell

Das ehrfurchteinflößende Schulgebäude erstreckt sich von der Aßmannstraße gegenüber dem Friedhof um die Ecke Ahornallee. Hier, wo der Autor früher als Kind immer im Vorbeigehen fasziniert zu dem Eingangsportal blickte, welches große steinerne Männer mit Schwert und Buch "bewachten" und bis heute etwas lebendig Mystisches ausstrahlen.

Durch zwei Türen noch und man befindet sich im Foyer. Sechzehn Klassenfotos plus ein Bild des Lehrerkollegiums schmücken neben Hinweisen auf den Namensgeber eine der Wände. Der Schaukasten gibt Auskunft über das, was ansteht. In der Mitte ein Tisch. An diesem sitzt der Hausmeister. Ich suche mir einen Beobachtungsplatz.

Nach ein paar Minuten des Ankommens und des Betrachtens des Treibens im Foyer stellt sich dieses "Schulgefühl" ein. Diese erst nach und nach erkennbare Ordnung im scheinbaren Chaos der Minuten zwischen zwei Unterrichtstunden. Die Schüler im Gespräch und auf dem Weg treppauf und treppab. Nun fügt es sich zusammen und mündet in den geplanten Fluss. Dann ist es ebenso schnell ganz still. Eine sehr beruhigende Erfahrung!

Es ist ein ganz normaler Schultag. Der Direktor grüßt freundlich, muss aber nach kurzer Unterhaltung schon zu anderen Aufgaben. Vor dem Lehrerzimmer warten Schüler mit Anliegen ans Sekretariat.

"Wir haben inzwischen zwei Willkommensklassen.Der Sportunterricht fand von Anfang an gemeinsam mit den regulären Schülern statt", berichtet Nicole Wilknitz.

Sie hat einige Minuten Zeit. Das wird reichen. Fast eine halbe Stunde wird es dann doch.

Sie zeigt auf ein paar Bilder: "Die Weihnachtsrevue mit Gedichten und Liedern vor ca. 200 Zuschauern war ein großer Erfolg und ein schönes gemeinsames Erlebnis. Die Willkommensklasse bekam sehr viel Applaus für einen wunderbaren Beitrag auf der Bühne".

Weiter berichtet Frau Wilknitz darüber, dass Schüler der Ahornschule zur Zeit die Turnhalle mit belegen müssten, da deren eigene Halle bekanntlich als Notunterkunft (NUK) genutzt würde. Deshalb konnten ein paar Sportstunden nur mit theoretischem Unterricht gefüllt werden, was jedoch insgesamt kein befriedigender Zustand für alle gewesen sei. Jetzt in der etwas wärmeren Jahreszeit wäre das nicht mehr ein so massives Problem, da man ja nach draußen ausweichen könne.

Desweiteren begleite die Schule ein Projekt Fußball mit Männern aus der NUK Peter-Hille-Straße und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF), die ursprünglich ganz in der Nähe wohnten und nun in Spandau untergebracht seien. Auch nach ihrem Umzug ans andere Ende der Stadt reisten diese trotzdem weiterhin gern zum Donnerstagsfußball an.

Dies darf man, objektiv betrachtet, sicher als Zeichen eines gelungenen Aufnahmeprozesses betrachten. Das sagt die Lehrerin nicht direkt, aber man merkt ihr an, dass sie es so meint.

Freitags nähmen sich Schüler des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums und der Wilhelm-Bölsche-Schule die Zeit und engagierten sich im Rahmen des Projektes Kindersport, in dem sie eine größere Gruppe von 4 – 12-jährigen Kindern aus der NUK abholten, zur Sporthalle begleiteten und sich dort mit ihnen gemeinsam bewegten. Inzwischen klappe das so gut, dass die Kinder sogar die angeleiteten Angebote annähmen, Spielformen verstünden und mitmachten, berichtet Frau Wilknitz weiter.

Frau S. ist zuständige Lehrerin einer der beiden Willkommensklassen. Zehn 15-jährige Schüler aus Afghanistan, Russland, Serbien und Syrien werden von ihr pädagogisch betreut.

Ich stelle mich kurz vor und bin irgendwie hin- und hergerissen zwischen diesem Schülergefühl und dem des nüchternen Betrachters und Beobachters. Die Frage, ob ich hinten oder vorne sitzen möchte, kommt mir auch irgendwie bekannt vor...

Die Schüler lesen Verse und bemühen sich, diese zu interpretieren. Die Zuordnung der Artikel "der", "die" und "das" wird geübt und es wird mit Hörbeispielen gearbeitet. Eine ganz normale Klasse von Heranwachsenden, so mein Eindruck. Mechanismen einer Gruppe von noch nicht fertig geprägten Individuen mit ihren individuellen Stärken und Schwächen offenbaren sich. Hilfsbereitschaft, Schüchternheit, Ungeduld, im einzelnen dezenter der Jugend geschuldeter Hang zur Selbstdarstellung und unterschiedlich ausgeprägtes Konzentrationsvermögen. Alles ganz normal in dem Alter.

Die relativ geringe Klassengröße komme dem Zweck einer möglichst individuell zugeschnittenen Schülerbegleitung bei gleichzeitig gewünschtem Lernerfolg und einem Fluss des Unterrichts entgegen. Nicht unbedeutend sei auch der Umstand, dass die Schüler den allergrößten Anteil ihrer Stunden im selben Raum hätten, so die Lehrerin später. Die Schüler entwickelten dadurch auch eine bessere Beziehung zu ihrem Arbeitsumfeld und seien stärker motiviert, am Erhalt dessen mitzuwirken, so Frau S. weiter. Wichtig sei sicher auch, dass klare Regeln verfasst und unterschrieben wären, deren Befolgung auch umgesetzt würde. Auf Hilfsmittel wie Hausaufgabenhefte und Stundenpläne werde geachtet.

Grundsätzlich sei ein Jahr Deutschunterricht vorgesehen, der mit Mathematik, Englisch, Sport, Kunst und Naturwissenschaften ergänzt würde. Danach entscheide das Schulamt über den weiteren Weg. Bei begründeten Ausnahmefällen könne eine längere Unterrichtszeit genehmigt werden. Ebenso gäbe es Schüler, die aufgrund guter Vorkenntnisse aus ihrem Heimatland oder dem Elternhaus oder einer entsprechenden Leistungseinschätzung vorzeitig in eine reguläre Schulklasse umgesetzt würden und dies sei im aktuellen Jahrgang auch schon der Fall gewesen, so die Lehrerin weiter im späteren Gespräch.

Insgesamt scheint der Prozess der Anpassung an die veränderten schulischen Gegebenheiten und die Arbeit am Integrationsprozess aller Beteiligten in der Wilhelm-Bölsche-Schule auf einem guten Weg. Kritische Stimmen und Gegner der einen oder anderen Veränderung hat es innerschulisch zur Genüge gegeben und gibt es immer noch. Solange man bereit ist, miteinander zu reden, wird ein demokratisches System das aushalten.

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