04.01.2017


Das Pflegestärkungsgesetz II - Aufbruch oder Verwaltungsakt?


Pflege zwischen Theorie und Praxis

Das Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) soll eine weitere Verbesserung der Pflegesituation in Deutschland bewirken. Wie das ab Januar 2017 funktionieren könnte und welche Instrumente dazu benutzt werden, möchten wir einer kritischen Betrachtung unterziehen.

Grundgedanke laut § 3 SGB XI ist nach wie vor, häusliche bzw. ambulante Versorgung vor stationärer Pflege zu fördern.

Fest steht: Jeder altert anders. Jeder möchte bis ins hohe Alter selbstbestimmt sein Leben führen. Doch nicht jedem ist es vergönnt.

Praxiserfahrungen** zeigen, dass es in der Mehrzahl der Fälle für den betroffenen Menschen von Vorteil gewesen wäre, sich frühzeitig selbstbestimmt mit Themen des Alterungsprozesses auseinander zu setzen. Man wird älter, man spürt erste Einschränkungen, man vergisst das eine oder andere, man fühlt sich aber eigentlich noch ganz fit, man schiebt es von sich, man stürzt sich in die Arbeit, ehrenamtliche Tätigkeit oder die Familienpflichten, man sucht sich Lebensbereiche, die einen bestätigen und in denen man sich auskennt.

Eine altersbedingte zunehmende Hilfsbedürftigkeit und eingeschränkte Mobilität ist kein Makel. Der Umgang damit ist jedoch ein höchstpersönlicher, mit fortschreitendem Verlauf dann ein auch für Dritte (Angehörige, Pflegepersonal), nicht einfach zu meisternder Erfahrungsprozess. Für den Betroffenen ist es manchmal schwer einsehbar, er schaut in den Spiegel, sieht sich mit seinen Augen und möglicherweise einem sehr subjektiven Selbstbild.

Es darf als gut gemeinter Vorsatz der Macher des PSG II verstanden werden, zukünftig neben den körperlichen mehr als zuvor auch die geistigen und seelischen Beeinträchtigungen gleichberechtigt im Begutachtungsprozess berücksichtigen zu wollen.

Das PSG II spricht davon, mehr Individualität in der Pflege ermöglichen zu können bzw. die Grundlage dafür gelegt zu haben. Inwieweit dies auch spürbare Verbesserungen für den praktischen Erlebensprozess im Pflegealltag beinhaltet oder sich in gut gemeinten theoretischen Grundlagen erschöpft, wird und kann am besten in der Praxis beurteilt werden. Dies wird zu späterer Zeit zu hinterfragen sein. Eigene und Praxiserfahrungen anderer Pflegekräfte aus den letzten knapp 20 Jahren lassen Zweifel als nicht unbegründet erscheinen.

Sicher gilt auch hier: Es erlebt jeder individuell. Was jedoch allgemein gültig ist, ist der Unterschied, ob ich als Pfleger eine Schicht mit einem, zwei oder drei Kollegen bestreiten muss oder darf oder ob der Pflegedienst 10 oder 20 Minuten Zeit hat.

Zusammengefasst sehen die Veränderungen mit dem PSG II u.a. folgendes vor:

- ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff

- ein neues Begutachtungssystem

- fünf Pflegegrade statt bisher drei Pflegestufen

- niemand wird schlechter gestellt als zuvor

Grundsätzlich gilt: Wer bereits eine Pflegestufe zwischen 1 und 3 hat(te), wird automatisch und ohne notwendigerweise neue Begutachtung in den nächsthöheren Pflegegrad eingestuft. Dies gilt für Menschen ohne anerkannte Einschränkung der Alltagskompetenz. Für Betroffene mit anerkannt eingeschränkter Alltagskompetenz gilt der erweiterte Einstufungssprung in den übernächsten Pflegegrad (z.B. von Pflegestufe 2 auf Pflegegrad 4).

Was bedeutet "eingeschränkte Alltagskompetenz" im Sinne des Sozialgesetzbuches XI?

Von eingeschränkter Alltagskompetenz kann bei demenzbedingten Fähigkeitsstörungen (z.B. bei seniler Demenz vom Alzheimer-Typ), psychischen Störungen* (z.B. bei Formen der Depression) oder geistigen Behinderungen* (z.B. einer Hirnleistungsstörung ursächlich eines frühkindlichen Hirnschadens) ausgegangen werden. Die Einschränkung der Alltagskompetenz muss von der Pflegekasse anerkannt worden sein!

Diese Anerkennung wird üblicherweise aufgrund einer (fach)ärztlichen Diagnose in einem oder mehreren der o.g. Gebiete* und/oder als Ergebnis des Begutachtungsprozesses erteilt.

Hilfestellung geben können in vielen Fragen die Pflegestützpunkte vor Ort, bei uns in Friedrichshagen im Myliusgarten 20, die Träger der Altenhilfe, im Idealfall der eigene Vermieter, aber auch Bekannte, Freunde und Familienangehörige.

Wer sich besonders ausführlich informieren möchte, wie sich die Gesamtlage aus der Draufsicht darstellt: Den "Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland" für die Jahre 2011 - 2015 finden Sie HIER.

 

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**Der Autor war insgesamt von 1998-2013 in Berlin und im Umland in der Altenpflege/hilfe tätig. Er verfügt weiterhin über diverse persönliche Kontakte in verschiedene Bereiche der Pflege in Deutschland.

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