10.09.2017


Wer seid ihr denn?


Meine erste Podiumsdiskussion mit den Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2017

Donnerstag Abend, kurz vor 19.00 Uhr. Mein Chef schließt unser Redaktionsbüro im Rathaus Friedrichshagen ab, bevor es einen Stock höher in den historischen Ratssaal geht. Ich bin etwas aufgeregt, denn es ist meine allererste Podiumsdiskussion, und das nicht erst seit ich Praktikantin beim Friedrichshagener Schirm bin, sondern die erste überhaupt. Politik spielte sich für mich bis jetzt nämlich hauptsächlich in den Medien ab.

Dankbar nehme ich also jeden Hinweis meines Chefredakteurs an, der in der ersten Reihe neben mir sitzt. Und bevor es losgeht lerne ich, dass es bestimmte Regeln gibt. Blaue Meldezettel mit Nummern werden verteilt, damit man sich mit Fragen zu Wort melden kann (ich habe Nummer zwei, melde mich aber nicht), Henrik Wehle vom Bürgerverein Friedrichshagen e.V. neben mir stoppt die Redezeit mit seinem Handy und muss dann eine Glocke läuten, die Moderatoren Bernd Ebert und Rainer Kleibs sorgen für den Ablauf und die Sitzordnung der Kandidaten auf dem Podium erfolgte alphabetisch.

Vom Publikum aus rechts sitzt demnach die Vertretung der Vertretung von Gregor Gysi (Die Linke) und einzige Frau in der Runde, Sandra Brunner, daneben Ralf Henze (FDP), Prof. Dr. Niels Korte (CDU), Erik Marquardt vom Bündnis 90/Die Grünen, der vorletzte Matthias Schmidt (SPD) und links außen Martin Trefzer von der AfD. Wer wie heißt und zu welcher Partei er gehört weiß ich von den Wahlplakaten, die in der Bölschestraße hängen, aber was sind das für Leute? Ich bin froh, dass ich nicht die einzige bin, die sich das fragt, denn nachdem jeder seine Person und seine Partei und ihre Ziele vorgestellt hat – einige stehen dabei auf – lautet die erste Frage eines Friedrichshageners aus dem Publikum: Wer seid ihr eigentlich?

Und so erfahren wir, dass Erik Marquardt sich für jung und dynamisch, aber auch manchmal ungeduldig hält, dass Matthias Schmidt sportbegeistert ist, Martin Trefzer bewog die derzeitige Europapolitik, in die Politik zu gehen, Niels Korte wohnt mit seiner Familie seit zehn Jahren in Friedrichshagen, Ralf Henze eckt öfters an und hat gern eine große Schnauze und Sandra Brunner ist im Prenzlberg groß geworden.

Nachdem das geklärt ist, geht es ans Eingemachte: Wie stehen Sie zum Fraktionszwang und zur Politikverdrossenheit, wobei nicht klar war, worauf geantwortet werden sollte, weshalb die Moderatoren eingreifen. Ich bin auch verdrossen und zwar weil ich nicht so schnell mitschreiben kann, wie geredet wird. Wenige Minuten, nie mehr als drei, haben die Diskutierenden Zeit, sich zu äußern, sonst läutet Henrik Wehle das Glöckchen, und wird auch das ignoriert, kommt ein Hinweis von den Moderatoren.

Und schon kommt die nächste Frage: Ist in Friedrichshagen Platz für eine Moschee oder einen muslimischen Friedhof? Platz gäbe es wohl, Religionsfreiheit ist ein Grundrecht, sind sich alle einig, man könne auch eine der ungenutzten Kirchen umbauen, wichtig wäre aber, dass auf Deutsch gepredigt wird und auch bei den Finanzierungen aus dem Ausland müsse man schauen.

Beim Thema Mietpreisbremse müssen die Moderatoren eingreifen, da die Frage nur an die „rechten Parteien“ gerichtet war. Protest ertönt: wer gehört zu rechts, und der Frager ergänzt: CDU, FDP und AfD. Aber die Regeln der Diskussion sind anders, alle müssen sich äußern dürfen und tun es auch, dauernd ertönt das Glöckchen.

Sprachlosigkeit dagegen bei der Frage nach der Umsetzung des 17-Punkte-Programm der UN für mehr Nachhaltigkeit und Entwicklung. Das Programm sieht verbesserte Lebensumstände für alle Bewohner unseres Planeten vor, also auch Treptow-Köpenick, aber hier geraten alle ins Stottern. Es muss erst mal schnell nachgeschlagen werden, was die Punkte im einzelnen sind, und Niels Korte, der das Googeln von seinen Kindern gelernt haben will, liest die Punkte laut vor.

Bei der letzten Frage aus dem Publikum, das Strandbad Müggelsee und den umstrittenen Abriss des „Würfels“ betreffend, sind die Teilnehmer wieder sicher: Kritik an der Handhabe des Problems wird laut. Zum Schluss fragen die Moderatoren: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie als Abgeordneter im Bundestag bis 2021 erreicht haben wollen?

Nach zwei Stunden lege ich den Stift aus meiner verkrampften Hand, um mit dem Publikum zu applaudieren. Wenn ich jetzt an einem Wahlplakat vorbeilaufe, weiß ich etwas genauer, wer das ist. Und das ist doch schon mal was.

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