31.08.2017


Friedrichshagen hat mich enorm bereichert


Pfarrer Alexander Höner verlässt die Christophorusgemeinde

Bilder: Stefan Mensah

Der Friedrichshagener Schirm hatte in den letzten Jahren regelmäßig Gelegenheit, über eine lebendige Gemeinde mit vielen Veranstaltungen und Terminen berichten zu können. Wie relevant eine "funktionierende" moderne Gemeinde für einen Ort auch heute noch sein kann, dafür steht sicher exemplarisch die Christophoruskirche in Friedrichshagen und als Person Alexander Höner.

Pfarrer Alexander Höner wird am 3. September um 18:00 Uhr in der Christophoruskirche seinen Abschiedsgottesdienst feiern. Er übernimmt ab sofort die Arbeits- und Forschungsstelle „Theologie der Stadt“ im Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg.

FhSchirm: Vielen Dank Herr Pfarrer Höner, dass Sie sich kurz vor Antritt der neuen Aufgabe die Zeit für ein Interview nehmen. Der Abschied scheint gut durchorganisiert. Wie fühlen Sie sich kurz vor dem Ende Ihrer Amtszeit hier in Friedrichshagen?

Es ist wie bei ganz vielen Abschieden wohl so, dass es da ein lachendes und ein weinendes Auge gibt. Ich freue mich natürlich sehr darauf, eine neue Aufgabe zu übernehmen, der meine große Leidenschaft gehört, nämlich darüber nachzudenken, wie die große Gottesfrage in der Stadt behandelt wird, an den unterschiedlichsten Orten und in den unterschiedlichsten Institutionen. Ich freue mich auf diese neue Aufgabe und gleichzeitig bemerke ich auch eine ganz große Melancholie, dass ich eine ganz wunderbare, mit diesem Amt verbundene Aufgabe, die ich hier 6 Jahre bekleiden durfte, jetzt aufgebe und dass ich das jetzt verlasse. Im Moment ist es für mich noch schwer vorstellbar, nicht mehr sagen zu können:"Ich bin der Pfarrer von Friedrichshagen". Ich habe das immer auch, ja, mit einem gewissen Stolz gesagt, weil es einfach schön ist, hier Pfarrer zu sein. Ich bekam hier einen unglaublichen Vertrauensvorschuss, was meine Ideen für meine Arbeit anging und dadurch hatte ich einen ganz großen Freiraum dafür, hier Kirche so zu leben, wie ich mir das vorstellte. Ich empfinde es heute als ganz großes Geschenk, ein solches Arbeitsumfeld gehabt zu haben, in dem ich frei tun und gestalten durfte und dabei noch eine wohlwollende Neugierde und Resonanz bekam.

FhSchirm: Wie verlief eigentlich Ihr Werdegang zum Pfarrer und was waren die Besonderheiten dieser Aufgabe hier?

Nach dem Studium trat ich eine Stelle als wissenschaftlicher Geschäftsführer "Kirche und Stadt" an der Universität Hamburg an. Gleichzeitig war ich Konviktsinspektor eines evangelischen Studentenwohnheimes und übte ehrenamtlich regelmäßig pfarramtliche Tätigkeiten in meiner alten Vikariatsgemeine auf St. Pauli in der Friedenskirche aus. Dabei kam es vor, dass ich ab und an Freunde oder Bekannte verheiraten durfte oder jemanden beerdigt habe.

Später trat ich dann meinen sogenannten Entsendungsdienst im Berliner Dom an. Dieses ist eine ganz besondere Gemeinde. Normale Gemeinden setzen sich aus den am Wohnort lebenden Mitgliedern zusammen, das nennt man dann Parochie. Die Domgemeinde wiederum ist eine Personalgemeinde, zu der man sich auf eigenen Wunsch hin "umgemeinden" lassen kann. Die Gemeinde des Berliner Doms ist eine der am meisten wachsenden Gemeinden in Deutschland mit, zu meiner Zeit, etwa 1300 Mitgliedern, was erstmal nicht so viele sind, hier in Friedrichshagen sind wir um die 2500. Der Berliner Dom hat allerdings auch erweiterte Aufgaben wahrzunehmen, z.B. repräsentative Aufgaben für die gesamte evangelische Kirche. Da war ich zwei sehr aufregende Jahre. Es geht einem unter die Haut, mit 2000 Menschen am heiligen Abend "Oh du fröhliche" zu singen und ich durfte dort sehr schöne Gottesdienste erleben.

Dann ergab sich die Aufgabe hier in Friedrichshagen, die ich seit 2011 inne hatte. Ja...und was macht nun das Besondere oder einen Unterschied zu den vorherigen Gemeinden aus...ich muss sagen, richtig klar geworden ist mir der Unterschied beim Ablauf der Beerdigungen hier. Unsere Gemeinde gehört ja zum Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree, in dem der Anteil an Protestanten unter 10% liegt. Wir sind eine absolute Minderheit. Bei Beerdigungen erlebte ich es auf besondere Weise, dass die Mehrheit der Menschen sehr verunsichert wirkte und nicht so richtig wusste, was von ihnen hier jetzt erwartet würde, wie sie sich verhalten sollen. Ich denke, es hat etwas mit der DDR-Historie zu tun, wo die Kirche nicht den Anteil an der Gesellschaft insgesamt einnahm wie in Hamburg. Es ist mir sehr wichtig, zu betonen, dass ich keine Ablehung hier gespürt habe. Als die Leute merkten, dass ich offen mit der Situation umging und sie dann vielleicht dachten: 'Mensch der Pfarrer Höner, der besteht darauf, zwei kirchliche Lieder während eines Beerdigungsgottesdienstes zu singen'...das hat viele zuerst erschreckt, aber als sie dann ihre Gastrolle in dieser Form der Tradition gefunden hatten und mich als "normalen Menschen" wahrnahmen, da passierten dann plötzlich ganz neue Dinge. Da kam man dann z.B. über den Sinn des Lebens ins Gespräch...

...das habe ich überhaupt als einen unglaublichen Reichtum hier in Friedrichshagen erlebt, einerseits die Konfessionslosen zu treffen und andererseits die Christen, die es auch schon zur DDR-Zeit gab. Da habe ich eine imponierende Ernsthaftigkeit erlebt z. B. bei einem Hauskreis, der sich seit mittlerweile 50 Jahren jeden Freitagabend trifft und ein geistliches Thema bespricht. So hat Friedrichshagen und alles, was damit einherging, meinen "Glaubenshaushalt" enorm bereichert.

FhSchirm: Welche Erlebnisse bleiben Ihnen am nachhaltigsten in Erinnerung?

Das sind die Gottesdienste. Nicht nur die ganz großen, mit ganz vielen Menschen, sondern vor allem auch die im ganz kleinen Kreis. Die Friedrichshagener Gemeinde ist insgesamt eine sehr gottesdienstfreudige Gemeinde. Das ist ein großes Glück. Diese Momente in der Gemeinschaft, Gott und das Leben zu feiern, Freude und Trauer miteinander zu teilen, das hat mich persönlich sehr oft sehr berührt. Diese regelmäßigen Erlebnisse und Momente werden mir im Nachhinein wohl am meisten fehlen.

FhSchirm: Uwe Baumann, offensichtlich ein Mensch mit guter Beobachtungsgabe, verglich auf Ihrer Homepage die Christophorus-Gemeinde mit Friedrichshagen an sich mit folgenden Worten: "Die Gemeinde jedenfalls ist wie der Ortsteil: Traditionell, modern, chaotisch, neugierig und kreativ. Manchmal schräg, eitel und nervös." - Wieviel davon steckt in Alexander Höner?

(...lacht...kurze  Denkpause...)...Ja ich bin schon sehr traditionell. Wir sind ja hier nicht Kirche von Höners Gnaden, sondern aus einem ganz tiefen Grund, der unsere Tradition ist. Unsere Vorfahren haben uns schon immer gezeigt, wie man auf die Geheimnisse des Lebens mit einem lebendigen Glauben antworten kann. Modern bin ich vielleicht gar nicht soviel. Wenn es modern ist, Dinge, die nicht typisch kirchlich sind, mit Kirche zu verbinden, dann bin ich vielleicht auch modern. Chaotisch bin ich auf jeden Fall, weil ich glaube, dass aus der chaotischen Kraft auch etwas entstehen kann, auf das man mit dem ersten Blick vielleicht gar nicht kommt. Neugierig bin ich unglaublich. Bei jedem Gespräch, jedem Menschen, jeder Hochzeit, jeder Beerdigung bin ich immer neugierig gewesen, welcher Kosmos sich da öffnen könnte. Hinter jeder Haustür hier in Friedrichshagen öffnet sich ein neuer Kosmos mit Lebensgeschichten. Kreativ? ja vielleicht kreativ auch...bei den Gottesdiensten?

Schräg, eitel und nervös...das finde ich ja am besten...ja schräg bin ich auch. Ich habe manchmal verrückte Ideen, die ich manchmal besser für mich behalten hätte...eitel bin ich tatsächlich auch...nervös bin ich eher nicht, denn da hilft mir mein riesengroßes Gottvertrauen. Manchmal hat man ja so das Gefühl, man habe etwas zuviel gewagt oder sich zuweit aus dem Fenster gelehnt, aber ich habe nie das Gefühl, dass etwas nicht wieder besser werden könnte.

FhSchirm: Sie werden mit Ihrer Familie weiterhin in Friedrichshagen wohnen. Macht das den Abschied etwas leichter?

Es macht den Abschied einerseits leichter, weil ich weiterhin an diesem schönen Ort leben darf, andererseits auch komplizierter, weil es schwer sein wird, in einer anderen Position in dieser Gemeinde weiterzuleben. Es gibt die offizielle Empfehlung der Kirchenleitung insgesamt, sich als Alt-Pfarrer zurückzunehmen. Daran möchte ich mich auch halten und mich die ersten 1-2 Jahre aus der Gemeinde heraushalten. Das bedeutet nicht, dass ich dieser Gemeinde nicht mehr verbunden sein werde. Dazu gehört auch das Loslassen von gewissen Dingen und den Fokus meiner Konzentration meiner neuen Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Wie das dann in Gänze konkret aussehen wird, das kann ich noch nicht sagen.

FhSchirm: Ihr Nachfolger tritt zum 1. Januar 2018 die hiesige Stelle an. Wer übernimmt in den nächsten vier Monaten die Führung der Gemeinde?

Es gibt für diese Fälle die sogenannte Vakanzvertretung und die übernimmt offiziell meine Kollegin aus Rahnsdorf Claudia Scheufele. Desweiteren wird der Gemeindekirchenrat die Leitung der Gemeinde innehaben, unsere Vikarin Rebekka Marquardt wird als Geistliche weiter dabei sein und auch Gottesdienste gestalten. Bis zum Ende des Jahres ist alles abgesichert. Unserer Gemeindesekretärin Constanze Pilz wird in dieser Zeit eine der wichtigsten organisatorischen Rollen zufallen.

FhSchirm: Wenn ich es richtig verstanden bzw. interpretiert habe, geht Ihre neue Aufgabe in eine zukunftsorientierte Blickrichtung...

...ja das ist richtig (schmunzelt)...es geht so ein "Gerücht", dass die in Berlin wissen, wie Kirche "funktioniert". Viele setzen die Hoffnung in die Berliner Kirche, dass wir am ehesten Modelle entwickeln könnten. Stimmt aber so eigentlich nicht oder nur in Teilen. Beispielsweise im Kirchenkreis Berlin-Mitte sind sehr innovative Projekte am Start, wie Kirche in Zukunft oder jetzt auch schon ist...

...ich möchte untersuchen, wo die Gottesthemen in Berlin "verhandelt" werden und ich glaube, das ist nicht nur innerhalb der Kirchenmauern. Menschen leben ja auch heutzutage Rituale, sei es nun ein Sonntagsbrunch oder auch ein Kinobesuch mit anschließender Diskussion. Ich möchte auf die Suche gehen, wo Menschen in Berlin ihre Sehnsuchtsorte gefunden haben, wo ihre Sehnsüchte, ihre Wünsche, ihre Sorgen angesprochen werden. Ich möchte mir Gemeinden anschauen, wo das exemplarisch gut funktioniert. Es gibt ja immer wieder Stimmen, die behaupten, wir als Kirche wüssten nicht, wie moderne Gesellschaft funktioniert. Ich glaube, dass es in Berlin wunderbare Gemeinden gibt, wo der Glaube gelebt wird und in das Jetzt hinübergetragen worden ist.

Menschen zu zeigen, dass Kirche ein Ort sein kann, um in Gemeinschaft Antworten und Orientierung zu finden, das wäre mein Ziel für die kommenden 10 Jahre...

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