Zeit-Fenster Nummer 3: Die Villenkolonie Hirschgarten


Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts erbte der Berliner Bankier Albert  H i r t e  einige bei Köpenick gelegene Wiesen, darunter die sogenannte Kesselwiese, im Köpenicker Grundbuch als „Hirschacker“ eingetragen. Da er oft in Friedrichshagen Sommeraufenthalt nahm, kam ihm der Gedanke, daß es sich hier eigentlich nicht schlecht wohnen lassen müßte. Hatte doch die Natur das Ihre getan, an jener Stelle, wo der Lauf der Spree an hohen Kiefernwaldungen vorüberführt, die Landschaft reizvoll zu gestalten. Und diese Idee, hier eine Ansiedlung  zu gründen, verließ ihn seit dieser Zeit nicht mehr.

 

Nach dem Zukauf einer 33 Morgen großen Ackerfläche ging  H i r t e  daran, das Territorium zur Anlage einer Villenkolonie vorzubereiten. Seinem Vorhaben gab er  den Namen  "Hirschgarten". Ein großer Garten voll grünender Bäume und duftender Blumen sollte aus dem früheren Hirschacker entstehen.

 

Am Sonntag, dem 19. Juni 1870 begannen die Trassierungsarbeiten. Als Grundidee für die Anlage der Kolonie war festgelegt, daß sämtliche Straßen auf einen Sternplatz münden sollten, den  H i r t e  in der Verlängerung der Straße vom Bahnhof Friedrichshagen mit der Aussicht auf den Kirchturm in Köpenick bestimmte.

 

Da während der Trassierung und Ebnung der Straßen der Deutsch-Französische Krieg ausbrach und Arbeitskräfte rar waren, ließ H i r t e  aus Spandau zwölf kriegsgefangene französische Soldaten kommen, welche unter Bewachung des preußischen Unteroffiziers  K u h f u ß  mitarbeiteten.  Am 22. August 1870 errichtete  H i r t e  die erste Baubude in Hirschgarten, an der Stelle, an der er seine eigene Villa zu erbauen gedachte, genau gegenüber dem heute noch erhaltenen Chausseehaus. Von dieser im April 1871 bezugsfertigen Villa stehen heute nur noch die zu einer Fischgaststätte ausgebauten ehemaligen Hof- und Stallgebäude. Im Frühjahr 1871 begann  H i r t e  mit dem Bau weiterer Villen, darunter das kleine, heute noch vorhandene Haus Ecke Ahornweg/Fürstenwalder Damm, in welchem er die erste Restauration einrichtete.

 

Als zweiter Hirschgartener Bauherr erstand am 6. September 1870 der Bankier Carl  B a d e  Bauland und ließ sogleich eine Villa erbauen, welche er 1871 bezog.  Die „Turmvilla“, deren Grundstein am 2. Oktober 1872 gelegt wurde, war ein weiterer Bau von  H i r t e, dessen Eigenkapital damit aber aufgebraucht war. Deshalb gründete er 1872 die „Union Baugesellschaft auf Actien“, welcher er als Vorstandsmitglied angehörte und die nunmehr den Ausbau Hirschgartens zu „einer Musteranlage deutschen bürgerlichen Heimwesens“ forcierte, wie es in ihren Statuten hieß. Nun ging der Ausbau der Villenkolonie zügig voran.

 

Weitere Villen und Landhäuser entstanden, und am 15. Mai 1873 wurden die ersten beiden Badehäuser an der Spree in Betrieb genommen.  Am 17. August 1874 erfolgte die Einweihung des großen Restaurants „Tabbert`s Waldschloß“, welches sehr viele Gäste aus Friedrichshagen, Köpenick und auch Berlin anzog.

 

In den Folgejahren wuchs Hirschgarten prächtig, Villa um Villa entstand. Zum 25. Jahrestag der Gründung der Kolonie existierten bereits 42 Villen, Landhäuser und andere Etablissements, vornehmlich von wohlhabenden Berliner Fabrikbesitzern, Bankiers, Beamten und Rentiers erbaut und bewohnt.

Der Ende der 70er Jahre erfolgte Ausbau der Chaussee Köpenick-Friedrichshagen wie auch die bereits ab 1885 funktionierende Telefonverbindung zwischen Hirschgarten und Berlin verbesserten wesentlich die Verbindung der Kolonie mit ihrem Umland.

 

1890 verliefen Probebohrungen nach Sole erfolgreich, sodaß die Berliner Direktion des „Admiralsgarten-Bades“ in Hirschgarten am 23. Juli 1890 ein Solebad eröffnen konnte. Leider war dem „Solbad Hirschgarten“ nur eine kurze Lebensdauer beschieden, nach 20 Jahren versiegte die Quelle wieder.

 

Am 16. Mai 1893 erfolgte die Einweihung einer Dampferanlegestelle des im April 1889 eröffneten und inzwischen schon als Ausflugslokal bekannten und beliebten Restaurants „Zum Aussichtsturm“.

 

Auch die Einrichtung eines Haltepunktes an der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn, der am 30. April 1894 eingeweiht wurde, machten Hirschgarten zu einem sehr beliebten Ausflugsziel.

 

Zum 25jährigen Bestehen der Kolonie wurde zu Ehren Albert  H i r t e s  ein Obelisk errichtet und 1920 der Platz  „Am Stern“ in „Hirteplatz“ umbenannt.

 

Nach jahrelangen Querelen mit der Niederbarnimer Kreisverwaltung sowie der Provinzialverwaltung in Potsdam wurde am 1. Juli 1898 Hirschgarten nach Friedrichshagen eingemeindet.

 

Als  H i r t e  am 25. Juli 1898 verstarb, hatte die Kolonie bereits die städtebauliche Figur erreicht, wie wir sie heute noch kennen. Auf einen ersten flüchtigen Blick erscheint sich in den seither vergangenen über hundert Jahren nicht viel verändert zu haben. Aber zwei Weltkriege und ihre jeweils schwere Nachkriegszeit haben doch ihre Spuren hinterlassen. Jedoch eine erhebliche Anzahl der Villen und Landhäuser aus der Gründerzeit existieren noch, und auch die Straßen und der zentrale Platz sind wie einst noch vorhanden und tragen mit wenigen Ausnahmen ihre alten Namen.

 

Heute sollte alles dazu Notwendige getan werden, dieses Bauensemble durch liebevolle Restauration nicht nur zu erhalten, sondern wiederzubeleben, so wie das bereits mit dem Obelisken geschehen ist, der seit August 2001 wieder in alter Schönheit  auf dem Hirteplatz erstrahlt.

 

Rolf Kießhauer  

(Noch Ausführlicheres zur Villenkolonie entnehmen Sie bitte dem Friedrichshagener Heft Nr. 25 "Vom Hirschacker zur Villenkolonie", dessen Autor R. Kießhauer ist.)