Kleine und vorläufige Kunstgeschichte Friedrichshagens
1753 zur Ansiedelung von ca. 100 Spinnerfamilien gegründet und planmäßig angelegt, entwickelte sich das Kolonistendorf Friedrichshagen [1] in den ersten 100 Jahren seines Bestehens zunächst durch das Gewerbe der Baumwollspinnerei, nach 1802 v.a. durch Lohn- oder Handwerksarbeit, die überwiegend im Pendlerdienst in Köpenick oder auch Berlin verrichtet wurde. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden in Friedrichshagen selbst die Voraussetzungen für eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, so durch die mit der 1849 erfolgten Einrichtung eines Haltepunktes und 1881 eines Bahnhofs auf der Bahnstrecke Berlin – Frankfurt (Oder) beförderte »Entdeckung« des Ortes als Ausflugs- und Erholungsort für stadtmüde Berliner, was den Beginn des modernen Tourismus einläutete, den Zuzug von neuen Bürgern anregte und, durch Überformungen von bestehenden Gebäuden oder durch größere und neuartige Neubauten, die architektonische wie städtebauliche Erweiterung des Ortes maßgeblich beeinflußte, sowie durch die Ansiedelung von Gewerbe und Institutionen wie der Brauerei (1872) und dem Bau des Wasserwerks (seit 1888, von Schultze und Gill), die dem Ort architektonisch und städtebaulich ebenfalls ein neues Gepräge gaben.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sich in Friedrichshagen der freigeistige wie kritische Denker-, Literaten- und Dichterkreis um Wilhelm Bölsche, Bruno Wille, die Brüder Heinrich und Julius Hart sowie Wilhelm Spohr zu etablieren begann, sind auch die Anfänge einer Bedeutung Friedrichshagens im Bereich der traditionellen Kunstgeschichte auszumachen.
Dabei spielten der Berliner Genremaler Edmund Rabe (1815 - 1902), der Mitglied der Königlichen Akademie der Künste war und erst ab 1891, nach seinen produktiven Jahren, als Mieter im Hause Ahornallee 53 wohnte, wo er auch verstarb [2], sowie der dem Dichterkreis nahestehende, nur vorübergehend in Friedrichshagen ansässige Maler, Zeichner und Gebrauchsgraphiker Fidus alias Hugo Höppner (1868 - 1949) eher eine Nebenrolle.
Interessantere Positionen scheinen die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Friedrichshagen tätigen Photographen und ihre Ateliers einzunehmen, deren Geschichte noch zu erforschen ist, sowie die mit der Photographie verbundenen Unternehmen wie der wohl seit 1901 in der Scharnweberstraße 14 etablierte »Kunstverlag C. Teistler & Co.«, der unter der Leitung des Journalisten, Redakteurs und Verlegers Hermann Teistler (1867 - 1937) begehrte Post- und Ansichtskarten produzierte und vertrieb [3]. Teistler hatte sich gemeinsam mit seiner Frau Clara und als überzeugter Sozialist ebenfalls Anfang der 1890er Jahre dem Friedrichshagener Dichterkreis hinzugesellt. Das Phänomen der durch Photographie und Druckanstalten vertretenen reproduzierenden Künste in Friedrichshagen mag sich u.a. aus der beschleunigten Entwicklung Friedrichshagens zum populären Ausflugs- und Erholungsort und dem damit einhergehenden Anstieg des Bedarfs resp. der Nachfrage nach Reproduktionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erklären.
Den Vertretern des sich formierenden Dichterkreises war Friedrichshagen auch ein Zufluchtsort, wo, über den Erholungswert hinaus, einerseits die Philosophie eines naturverbundenen Daseins probeweise umgesetzt werden konnte und man andererseits der direkten behördlichen Kontrolle Berlins ein wenig entzogen war.
Vermehrte Nachfrage und Massenproduktion sowie der Bedarf eines neuen Standortes waren auch Gründe, warum ein ganz anderer Kunstzweig, die Denkmalproduktion, relativ plötzlich mit dem Ort Friedrichshagen in Verbindung trat. Mit der Kündigung des Mietvertrages für die Nutzung des Königlichen Gießhauses in der Berliner Münzstraße 1886 und dem Abbruch des Hauses noch im selben Jahr ging der international angesehenen Bronze- und »Hofbildgießerei« Hermann Gladenbecks die Hauptproduktionsstätte verloren [4]. Wohl in weiser Voraussicht hatte Hermann Gladenbeck (1827 – 1918) bereits 1874 ein ca. 5 700 qm großes Grundstück in Friedrichshagen erworben, auf dem er 1887 mit dem Neubau einer Bronzegießerei für monumentale Bildwerke beginnen konnte, nachdem sein ältester Sohn Oscar Gladenbeck (1851 – 1921) seine eigene Fabrik für Bronze- und Zinkgußwaren schon 1886 nach Friedrichshagen verlegt und sich die Bedenken hinsichtlich der steigenden Umweltbelastung durch eine weitere Bildgießerei im Gemeindevorstand gelegt hatten.
Mit dem Wechsel nach Friedrichshagen wandelte Hermann Gladenbeck gemeinsam mit seinen beiden ältesten Söhnen Oscar und Alfred die Firma »Hermann Gladenbeck und Sohn« 1888 in die »Gladenbeck’s Bildgießerei Aktien-Gesellschaft« um. In der Folgezeit entstanden in Friedrichshagen bekannte Standbilder und Monumente wie das Alexander-von Humboldt-Denkmal für Chicago, das Martin-Luther-Denkmal für Erfurt sowie der Berliner Schlossbrunnen, der sog. Neptunbrunnen, von Reinhold Begas. Anhaltendes Mißmanagement führte 1892 zur Entlassung des Vorstandes der AG. Hermann Gladenbeck und seine vier in der Firma tätigen Söhne mußten ihren Abschied nehmen. Oscar Gladenbeck gründete und führte daraufhin eine Terrakottafabrik in der Seestraße 120/121 (heute Müggelseedamm 131), die 1932 den Betrieb aufgab. Seine Brüder Walter und Paul gründeten 1893 eine neue Bronzegießerei in der Seestraße 126 (Müggelseedamm 123), und führten die Tradition der Produktion von Monumentalbildwerken bis 1910, als sie Konkurs anmelden mußten, weiter. Bis dahin fertigte ihre Fabrik mehr als 250 Monumentalbronzen, u.a. für Reinhold Begas 1896 den Guß der Postament-Figuren für das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. auf der Berliner Schloßfreiheit.
Die nicht mehr von der Familie Gladenbeck weitergeführte Aktiengesellschaft hatte, trotz zunächst guter Auftragslage, nach 1892 Mühe, auf eine solide finanzielle Basis zu kommen und litt unter der wachsenden Konkurrenz. Anläßlich des 150jährigen Ortsjubiläums von Friedrichshagen führte die Aktiengesellschaft 1904 nach einem Entwurf von Felix Görling (künstlerischer Direktor der AG) das Denkmal des Ortsgründers, König Friedrichs II., aus, das auf dem Marktplatz errichtet wurde (nach Abriß und Verlust in einer Reproduktion des Bildhauers Spartak Babajan 2003 wiedererrichtet). Nachdem die AG noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg das monumentale Standbild des norwegischen Nationalhelden Fritjof (des Bildhauers Unger) als Geschenk Kaiser Wilhelms II. an Norwegen sowie die vom Bildhauer Fritz Richter-Elsner entworfene Büste des 1913 verstorbenen populären Friedrichshagener Arztes Dr. Max Jacobi für die Aufstellung im hiesigen Kurpark ausgeführt hatte, war es der Firma während wie auch nach dem Krieg nicht mehr möglich, einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen, so daß die AG 1926 aufgelöst werden mußte.
In den 1920er Jahren und bis zum Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die vor dem Ersten Weltkrieg noch als großzügige Villenviertel projektierten Ost- und Westabschnitte Friedrichshagens durch den Bau von und die Verdichtung mit eher schlichteren Ein- und Mehrfamilienhäusern zu durchgrünten, nur vereinzelt Gewerbebauten aufnehmenden Wohngegenden mit Gartenstadtcharakter, darunter das Wohnhaus Gloeden (Löcknitzstr. 45), ein expressionistischer Klinkerbau des Architekten Friedrich Brinkmann, der auch an anderen Stellen des Ortes seine baumeisterlichen Spuren hinterließ, so bereits 1926 mit einer expressionistischen Villa in der Ahornallee (Nr. 38).
Ab 1927 entstand in der Friedrichshagener Straße (an die Bellevuestraße angrenzend) zudem ein exemplarischer Gewerbebau der funktionellen Moderne, die Gummiwarenfabrik der Firma Fromm, entworfen von Arthur Korn (1891 – 1978 ) und Siegfried Weitzmann, eine Gruppe von Gebäuden, deren offenliegende rot gestrichene Stahlskelette mit Glasscheiben und weiß glasierten Fliesen ausgefacht waren. Bereits Anfang der 1920er Jahre hatte Julius Fromm eine Gummiwarenfabrik am nordöstlichen Ende der Rahnsdorfer Straße errichten lassen, die 1927 um einem zweistöckigen robusten Klinkerbau, ebenfalls von Korn und Weitzmann entworfen, erweitert wurde.
Ein weiteres Beispiel des Modernen Bauens, das wiederum der Funktion Friedrichshagens als Ausflugs- und Erholungsort diente, wurde 1929-30 am Fürstenwalder Damm errichtet: das Strandbad Müggelsee, ein Terrassengebäude mit Eingangshalle und Pförtnerwohnung, entworfen von Martin Wagner und Hennings und ergänzt durch die Bronzefigur "Maja", um 1931 von Fritz Klimsch.
1929 verstarb der Landschaftsmaler Peter Paul Mishel (geb. 1861 in Danzig) in Friedrichshagen, dessen Biographie und Oeuvre z. Zt. erforscht werden.
Eine Bereicherung der örtlichen Kunstgeschichte stellte 1946 der wohl durch die Freundschaft zu Gerhart Hauptmann und seiner Frau Marie angeregte Zuzug der Malerin, Graphikerin, Schriftstellerin und promovierten Kunsthistorikerin Charlotte E. (Elfriede) Pauly (1886 – 1981) dar. Die hoch gebildete und durch Reisen u. a. nach Frankreich, Spanien, Portugal, Nordafrika, Libanon, Palästina, Syrien und Griechenland, später nach England, in die Schweiz, nach Ungarn, Bulgarien und in die Bundesrepublik welterfahrene Künstlerin war während der Zeit des Nationalsozialismus als »Zigeunermalerin« diffamiert, aus dem Künstlerbund ausgeschlossen und mit Ausstellungsverbot belegt worden. In Friedrichshagen verlebte sie bis zu ihrem Tod äußerst produktive Jahre, widmete sich zunehmend auch der Druckgraphik und stellte in Berlin, Leipzig und Dresden wieder regelmäßig aus. Den allseitigen Austausch pflegend, empfing sie zahlreiche, v. a. auch jüngere Künstler in ihrem Atelier und engagierte sich sozial und politisch, nicht immer zum Wohlgefallen des SED-Regimes. In Friedrichshagen fiel sie u. a. durch ihre exotische Kopfbedeckung auf, die kleine viereckige mittelasiatische Tjubetejka, die sie als eine Art Markenzeichen in der Öffentlichkeit trug [5].
Heute lebt und arbeitet eine Vielzahl unterschiedlichster Künstler in Friedrichshagen, die in »Künstler von A - Z« kurz vorgestellt werden. In unterschiedlicher Besetzung veranstaltet eine Gruppe von ihnen seit einigen Jahren die sog. Tage der offenen Ateliers, an denen sich Interessierte und Neugierige über das aktuelle Schaffen der Künstler und Künstlerinnen informieren können. Ferner wird die örtliche Kunstwelt durch eine Reihe von Galerien belebt, die sowohl hiesige als auch nicht-hiesige Künstler präsentieren.
Über die hehre Kunst hinaus ist im Friedrichshagen von heute zudem und in nicht geringem Maße das Kunsthandwerk etabliert, was an die handwerklichen Anfänge des Ortes und seiner Bewohner gemahnt, so u.a. in Gold- und Silberschmieden, Modeschneidereien und einer Filzerei.